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Predigt beim Verbundsgottesdienst 18.5.2013 Neusustrum

1. Strophe von „Here I am, Lord“

Liebe Mitchristen,

woran erkennt man eigentlich einen Christen?
Wahrscheinlich ist es gar nicht so leicht zu sagen, woran man einen Christen wirklich erkennt. Wenn wir uns heute Abend hier umschauen, eigentlich sehen wir alle ziemlich normal aus – wenn man mal von Pastor Roy und mir und den Ministranten absieht – wenn wir so in der Fußgängerzone von Lingen unterwegs wären, würden wir schon auffallen. Woran erkennt man also einen Christen? Ganz klar, nicht an der Kleidung, nicht an einem frommen Gesichtsausdruck, nicht an den gefalteten Händen. Sollte ein Christ einen Heiligenschein tragen, dann sieht man ihn nicht – und sie schweben auch nicht auf rosafarbenen Wölkchen in der Gegend rum. Christen, das sind wir – und wir sind erst mal Menschen wie alle anderen auch. Wir gehen zur Arbeit und freuen uns auf das freie Wochenende, wir müssen schauen, wie wir mit dem Geld rumkommen und machen uns Sorgen um die Oma. Uns trifft die ungünstige Diagnose des Arztes genauso wie alle anderen, wir feiern Goldene Hochzeiten und runde Geburtstage, die Kinder bleiben in der Schule sitzen oder kommen grad so durch, im Garten wuchert das Unkraut, weil man nicht hinterher kommt – und hat vergessen, für morgen Abend die Grillkohle zu besorgen.
Woran also erkennt man einen Christen?
Vielleicht haben Sie das Lied noch im Ohr, dass die Gitarrengruppe eben angespielt hat. Dieses Lied kommt aus der englischsprachigen Kirche – und ich habe es aus Südafrika mitgebracht. Und ich glaube, der Refrain dieses Liedes kann uns möglicherweise bei unserer Frage weiterhelfen: Here I am, Lord – Gott, hier bin ich. Christen sind Menschen, die Antwort geben.
Antwort geben – das macht nur Sinn, wenn da eine Frage ist. Leider ist es heutzutage in unserer Gesellschaft und auch in unserer Kirche durchaus sehr verbreitet, Antworten auf Fragen zu geben, die niemand gestellt hat. Ziemlich verblüfft war ich jedenfalls, als ich bei meinem Umzug nach Steinbild wegen des neuen Telefonanschlusses bei der Telecom anrufen musste, mich auf eine lange Warteschleife mit Musik einstellte – aber stattdessen auf einmal eine nette Stimme hörte: „Sie wollen nach Wuppertal – und wissen nicht warum? Wir sagen es Ihnen!“ Inzwischen sind wir so weit, dass uns mit den Fragen, die wir gar nicht gestellt haben, auch gleich die passende Antwort mitgeliefert wird.
Wenn Christen Menschen sind, die Antwort geben, was ist dann die Frage, die uns gestellt wird? Und wer ist es, der fragt?
Gott fragt uns. Und ich finde das eigentlich vollkommen verblüffend. Er, der große, allmächtige, manchmal so unbegreifliche Gott, fragt uns. Er beugt sich regelrecht zu uns herunter und fragt uns, Sie und Dich und mich. Er nimmt uns so ernst, dass er uns anschaut, dass er das Gespräch mit uns sucht, dass er uns anspricht. Er meint Sie und Dich und mich.
Und was ist seine Frage? Seine Frage lautet: Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen? (Vgl. Jes 6)
Das ist die Frage, die Gott uns stellt. Und das finde ich nochmal verblüffend. Gott braucht uns. Er ist auf uns angewiesen. Ohne uns wird seine Botschaft nicht bei den Menschen ankommen. Und er stellt diese Frage nicht nur Bischof Bode oder Pastor Roy, nicht nur an Anita Strätker oder Ulla Ahlers – er stellt diese Frage uns. Ihnen und Dir und mir. Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?
Und Gott wartet auf eine Antwort. Ich bin gefragt.
Und Christen sind Menschen, die diese Frage hören – und die eine Antwort auf diese Frage geben.
Aber: Für Gott gehen – was heißt das? Wir gehen, wir stehen ein für das Leben, die Liebe. Wir stehen ein dafür, dass Menschen menschenwürdig leben können, weil sie Abbild Gottes sind. Wir stehen ein für den Glauben, die Hoffnung, die Liebe. Wir stehen ein dafür, dass Gott diese Welt liebt und das Gute will. Wir stehen ein für das Vertrauen und die Zukunft.
Das Gegenteil von einem Christen ist die „couch-potato“, „die Sofa-Kartoffel“. Die verbringt ihre Zeit damit zu konsumieren, am besten vor dem Fernsehen mit irgendeinem Burger, also einer modernen Flach-Frikadelle im Pappbrötchen, die selten nach irgendwas schmeckt. Man lässt sich berieseln, meckert ein bisschen rum, guckt danach, dass es einem selbst gut geht. Das ist natürlich bequemer. Man muss nichts tun. Deshalb können Sie heute auch fast nirgendwo mehr ein Sofa kaufen – es gibt nur noch „Wohnlandschaften“. Dort nistet man sich gemütlich ein und lässt Gott einen guten Mann sein. und wenn das Fernsehen oder der CD-Player nur laut genug gestellt sind, dann schafft man es schon ganz gut, diese Frage Gottes zu überhören.
Christen sind Menschen, die eine Antwort geben. Das sind diejenigen, die andere anstiften wollen zum Leben. Das sind diejenigen, denen es nicht egal ist, wie es dem anderen, dem Menschen neben mir geht. Das sind diejenigen, die sich verbunden fühlen mit der Idee Gottes, dass es gut ist und sein soll, auf dieser Erde zu leben. Das sind diejenigen, die sich verantwortlich fühlen dafür, dass es nicht nur einem selbst, sondern auch den anderen gut geht.
Was das heißt, wie das gehen kann? Das braucht gar nichts Großes zu sein:
-    Ich interessiere mich für einen anderen, ich höre zu
-    Ich bete für einen Menschen, ich zünde eine Kerze an
-    Ich koche einen Topf Suppe und bring ihn zu der Nachbarin, die sich das bein gebrochen hat
-    Ich besuche einen im Krankenhaus, den niemand besucht
-    Ich fege den Kirchenvorplatz
-    Ich schreibe jemandem einen Brief, rufe kurz an, von dem ich weiß, dass er einsam ist
-    Man bereitet hier den Platz für den Gottesdienst vor und baut alles auf
-    Ich hebe die leere Cola-Dose auf und werfe sie in den Abfalleimer
-    Ich nehme meine Aufgabe als Ministrant beim Gottesdienst ernst
-    Man engagiert sich bei der 72-Stunden-Aktion der KLJB
-    Ich lasse dem anderen an der Kasse im Supermarkt den Vortritt, weil deren kleines Kind quengelt
… und Sie können diese Liste beliebig fortsetzen.
Gott fragt mich darum, diese Welt ein klein bisschen besser, liebevoller, barmherziger zu machen – und dazu muss man kein Abitur und nicht Theologie studiert haben. Gott fragt mich, das zu tun. Er traut mir das zu.
Und eigentlich ist es genau das, was Berufung meint: Diesen Ruf Gottes, diese Frage Gottes zu hören – und durch mein Handeln und mein Sein meine Antwort zu geben, das, was ich tun kann, das, was ich geben kann. Berufung wird nicht mit Großbuchstaben geschrieben und ist nicht irgendwelchen auserwählten Kreisen vorbehalten. Berufung – das ist, wenn Gott mich ganz persönlich fragt – und meine ganz persönliche Antwort will. Er will nicht, dass ich das tue, was andere tun, er will nicht, dass ich so wie andere bin. Er meint und er will mich – so wie ich bin, mit all meinen Stärken und Schwächen. Er fragt mich trotzdem – oder auch gerade deswegen.
Deswegen – das kann man nicht an andere delegieren. Nicht an den Bischof, nicht an den Pfarrer, nicht an die Hauptamtlichen, nicht an die PGR-Vorsitzenden. Diese Idee funktioniert nur dann, wenn jeder seine Antwort gibt, wenn nicht alle das Gleiche tun, oder wenn zwei oder drei das für alle anderen tun sollen – sondern das geht nur, wenn jeder Seines tut, in aller Buntheit, in aller Unterschiedlichkeit. Gott braucht und will genau das.
Die Frage ist gestellt: Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?
Um Antwort wird gebeten.
Christen sind Menschen, die Antwort geben.
Here I am Lord – hier bin ich, Gott.

© Andrea Schwarz